Von einem Gott, dem wir genügen – Teil 4: Die Zebedäen

Nun fehlen in unserer Runde nur noch zwei Jünger und seit diese beiden in der Serie „The Chosen“ so wunderbar von ihren Schauspielern verkörpert werden, haben viele sie sehr lieb gewonnen: die auch in den Evangelien sehr bedeutenden und oft sehr  beliebten weil menschlichen Brüder Johannes und Jakobus – auch bekannt als Zebedäen oder Donnersöhne. Doch was hat es mit ihnen auf sich? Wo verraten uns die Evangelien etwas mehr über sie? Lass uns tiefer schauen!

Johannes begegnete Jesus wohl schon zusammen mit Andreas, als die beiden bei dem Täufer am Joran waren.

Johannes und Jakobus sind die letzten namentlich genannten Jünger in der Runde, die in Joh 21 dem Auferstandenen begegnet. Tatsächlich überschneidet sich vieles von dem, was sie mit Jesus davor erlebt haben, mit dem, was wir schon von Petrus gehört haben. Das hat vor allem einen wichtigen Grund: Die vier (Johannes, Jakobus, Petrus und Andreas) kannten sich schon sehr lang und waren sehr eng miteinander. Wie kommen wir darauf? Zum einen stehen die Chancen recht hoch, dass es Johannes war, der damals zusammen mit Andreas Jesus als erster nachfolgte (schau doch zur Auffrischung hier nochmal in den Anfang von meinem Beitrag zu Petrus rein).

Am folgenden Tag stand Johannes wieder da und zwei von seinen Jüngern; und hinblickend auf Jesus, der vorbeiging, spricht er: Siehe, das Lamm Gottes! Und es hörten ihn die zwei Jünger reden und folgten Jesus nach. Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und spricht zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sagten zu ihm: Rabbi – was übersetzt heißt: Lehrer –, wo hältst du dich auf? Er spricht zu ihnen: Kommt, und ihr werdet sehen! Sie kamen nun und sahen, wo er sich aufhielt, und blieben jenen Tag bei ihm. Es war um die zehnte Stunde. Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer von den zweien, die es von Johannes gehört hatten und ihm nachgefolgt waren. (Joh 1,35-40, NLB)

Zusammen mit Andreas und Petrus hatten die beiden ein erfolgreiches Fischereiunternehmen.

Ja, wir haben hier nur einen Namen genannt. Aber wir wissen, dass Johannes als Evangelist (ja, es ist genau dieser Johannes, der das Evangelium, die Briefe und die Offenbarung schreiben wird) sich selbst erst am Ende seines Berichtes mehr oder weniger offenbaren lässt (Joh 21,24). Davor spricht er von sich selbst als „einem Jünger“ oder „dem Jünger, den Jesus liebt hatte“. Nimmt man also diesen Stil, den er in seinem Evangelium hat, mitsamt dem detailreichen Bericht über diese erste Begegnung und die vertraute Nähe zwischen ihm und Jesus in den folgenden drei Jahren, würde es durchaus Sinn ergeben, dass er der zweite Jünger dieser ersten, alles entscheidenden Begegnung ist. Doch kommt noch ein weiterer Grund dazu: Wie wir schon in dem Beitrag über Petrus nachgelesen haben, berichten uns drei synoptischen Evangelien davon, dass Johannes und Jakobus Geschäftspartner und Freunde von Andreas und Petrus sind (Mk 1,15-20; Mt 4,18-22; Lk 5,1-11). Sie wohnten allesamt in Kapernaum, waren ungefähr gleich alt, bauten zusammen ein Geschäft auf, teilten Erfahrungen – und anscheinend auch den Glauben. Denn vermutlich zusammen gingen Andreas und Johannes zu Johannes dem Täufer und lauschten seinen Lehren, bis dieser sie an Jesus verwies. Und zusammen wurden die vier Brüder von Jesus als erste offiziell berufen. Hier finden wir übrigens den Grund für den ersten Beinamen der beiden Brüder Johannes und Jakobus: Ihr Vater trägt den Namen Zebeädus (Mt 4,21 u.a.), weshalb sie auch als Zebeäden oder Zebedäensöhne bezeichnet werden.

Jesus vergleicht die Impulsivität der beiden Brüder mit der Intensität eines Sturms oder Gewitters.

So erschließt sich uns auch, warum die beiden ohne zu zögern Jesus nachfolgen, trotz allem, was sie dafür zurücklassen müssen (Mt 4,18ff./Lk 5,1ff.). Denn sie kennen Jesus bereits und ihre langjährigen Freunde sind mit von der Partie. Sie gehören mit zu den Zwölf (Mt 10,1ff./Mk 3,13ff./Lk 6,12ff.) und es kristallisiert sich heraus, dass die beiden mit Petrus zusammen eine besondere Rolle in der Gruppe spielen (Wir wissen nicht genau, warum Andreas als erster Evangelist laut Joh 1,41 etwas in den Hintergrund tritt – ein Grund kann der dominantere Charakter der anderen Drei sein. Genauso wie bei uns hat Jesus auch diese Jünger aufgrund von Charakter und Begabung für unterschiedliche Rollen vorgesehen): Diese Drei, Petrus, Johannes und Jakobus etwa sind die einzigen aus der Jüngerschar, denen Jesus neue Beinamen gibt. Während Simon zu Petrus (Fels) wird, gibt Jesus den  beiden Zebedäensöhnen den Beinamen Boanerges (Mk 3,17). Boanerges ist eine ins Griechische übertragene hebräische Bezeichnung, die so viel wie Söhne des Tosens bedeutet. Der Evangelist Markus übersetzt sie ins Griechische als Söhne des Donners (Mk 3,17). Und dieser zweite Beiname hat einen Grund: Denn es scheint, dass Jakobus und Johannes ziemliche Temperamentsbolzen waren. Das sehen wir zum einen daran, wie sie so energiegeladen bei der Sache sind, dass sie Jesus eines Tages fragen, ob sie nicht, wenn er sein Königreich eines Tages endlich aufgerichtet hat, zu seiner Rechten und Linken sitzen dürften (Mt 20,20ff./Mk 10,35ff.) – was nichts anderes meint, als eine sehr autoritative Position innehaben zu wollen, in der sie aktiv mit ihm herrschen können. Daran erkennt man die Stärke ihrer Überzeugung und ihres Glaubens, aber auch ihres Charakters. Genau der gleiche Charakterzug zeigt sich, als Jesus und die Jünger eines Tages in Samaria abgelehnt werden und Jakobus und Johannes Feuer auf die Stadt herabrufen wollen, um die Bewohner zu bestrafen (Lk 9,51ff.). Beide Male zügelt Jesus die beiden Donnersöhne und korrigiert sie.

Die Verklärung ist selbst für die Evangelisten kaum in Worte zu fassen, doch ist sie theologisch unfassbar aussagekräftig – doch dazu zu einem anderen Zeitpunkt mehr :-)

Aber wer nun denkt, dass diese Meinungsverschiedenheit einen Keil zwischen Jesus und die beiden treiben würde, der täuscht sich: Trotz allem allzu Menschlichen gibt es eine ganz besondere Bindung zwischen den Boanerges und Jesus. Und so sind die beiden Donnersöhne mit Petrus immer vorne mit dabei: Sie erleben mit, wie Jesus verklärt wird (Mt 17,1ff./Mk 9,2ff./Lk 9,28ff.) und er bittet genau diese drei Männer, nahe bei ihm zu bleiben, als er im Garten Gethsemane fast zu verzweifeln droht (Mt 26,37/Mk 14,33). Johannes als einer der beiden Zebedäen (er hat während des Passahmahls an Jesu Brust gelegen, wie wir in Joh 13,23 lesen können) ist so entschlossen und mutig, dass er als einziger der Männer Jesus am Kreuz beisteht, und so vertraut Jesus ihm mit letzter Kraft seine Mutter an (Joh 20,2). Johannes als vermutlich Jüngster aus der Runde ist es auch, der mit Petrus zum Grab rennt, als Maria Magdalena ihnen von den Geschehnissen am Morgen des Auferstehungstages berichtet (20,1ff.). Die Beziehung zwischen Jesus und den beiden Temperamentsbrüdern zeigt uns wieder mal, wie anders Jesus als Messias ist: Was für viele Menschen Grund genug ist, um genervt zu sein, andere abzuschreiben oder aus dem Leben herauszuschneiden, spielt für ihn eine ganz andere Rolle. Jesus sieht tiefer, er erkennt die Person, wie sie in all ihren schillernden Facetten von Gott gestaltet, schaut hinter die Ecken und Kanten und liebt, was er sieht – und weiß genau, wie er uns alle für Gottes Reich einsetzen kann. Erlösung und Annahme sind allgegenwärtig in einer Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes.

Heute ist Patmos bebaut, doch zur Zeit von Johannes diente die Insel nur als Exil für Verbannte und Verurteilte.

Doch die Story der beiden beiden Donnersöhne endet nicht mit dem Auferstehungstag und auch nicht mit dem Fischspektakel in Joh 21. Die beiden spielen auch in der weiteren Geschichte eine wichtige Rolle: Zusammen mit Petrus werden sie von Paulus als Säulen der Jerusalemer Gemeinde, also der Urgemeinde, der Muttergemeinde all derjenigen, die bald gegründet werden bis nach Europa hinein, bezeichnet (Gal 2,9). Diese Drei prägen den Leib Christi wie sonst (neben Paulus als wichtigster Missionar) wohl kein anderer – und alle drei geben alles für Jesus hin: Jakobus wird schon früh für seine Hingabe an Jesus ermordet (Apg 12,1). Die erste der drei Säulen stirbt einen gewaltsamen Märtyrertod für das Evangelium des Friedefürsten. Petrus predigt noch einige Jahre, bis er um 60 n.Chr. in Rom hingerichtet wird. Und Johannes? Johannes wird eines Tages nach Patmos verbannt, einer einsamen Insel, nachdem man versucht hatte, ihn zu vergiften – was nicht funktionierte, denn Gott hatte noch einen Plan mit seinem vertrauten Jünger. Als einer der wenigen aus der Runde der Zwölf, der eines Tages eines natürlichen Todes sterben soll, begegnet Jesus dem Donnersohn auf Patmos in einer alles verändernden Vision. Als Johannes diese aufschrieb, verfasste er das Buch, das wir heute als Offenbarung kennen: Das Buch, das unsere Bibel abschließt und uns einen Blick in die Zukunft geben soll bis zu dem Tag, an dem Gott diese Welt endlich ein für alle Mal wiederherstellt, gibt uns viele Rätsel auf, denn es ist ein Buch der Prophetie, wie wir sie aus dem Alten Testament kennen, aber es ist gleichzeitig die Schrift unserer größten Hoffnung.

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