Unterwegs mit Jesus – Teil 3: Tabgha 2.0

Seit zehn Jahren beschäftige ich mich mit Israel, fünf Mal war ich nun schon hier. Aber nie hat mich jemand auf einen ganz bestimmten Ort aufmerksam gemacht, von dem ich Dir heute erzählen möchte. Jeder kennt den Berg der Seligpreisung, wo Jesus seine berühmte Bergpredigt gehalten haben soll. Jeder kennt Kapernaum, die antike Stadt, wo heute eine große Kirche über dem früheren Haus von Simon Petrus steht. Und jeder kennt Tabgha mit seiner Brotvermehrungskirche, wo Jesus aus fünf Broten und zwei Fischen um die 12.000 Leute gesättigt haben soll. Aber nicht jeder weiß, dass in Tabgha noch eine andere Kirche steht und an ein anderes Ereignis aus dem Leben und Wirken Jesu erinnert. In zehn Jahren hat mir niemand von „Peter´s Primacy“ (dt. Primat des Petrus, aber allgemein als Primatkapelle bekannt) erzählt – bis gestern: In meinem Hotel in Migdal lernte ich einige sehr nette Christen aus einer texanischen Reisgruppe kennen, deren israelisch-jüdischer Guide Ruben sie gerade an diesen Ort gebracht hatte. Begeistert erzählten sie mir davon. Und so entschied ich mich, mich selbst auf den Weg zu machen und endlich bei meinem sechsten Besuch im Land der Bibel dann auch mal diesen Ort zu sehen.

Die Anlage beginnt mit einem großen Garten, in dem mehrere Freiluftkapellen liegen, in denen Gottesdienste gefeiert Werdern können.

Peter´s Primacy liegt auf dem Grundstück von Tabgha. Die meisten verwenden Tabgha als Synonym für die Brotvermehrungskirche. Das ist aber nicht richtig: Der Name Tabgha ist der arabische Begriff für „Siebenquell“ (ursprünglich griech. Heptagon; hebr. Ein Sheva) und bezeichnet nur die Landschaft. Denn sieben Quellen entspringen hier in direkter Nähe des Ufers des Sees Genezareth und prägen die Natur maßgeblich mit. Neben der berühmten Brotvermehrungskirche mit dem Benediktinerkloster und dem Pilgherhaus Tabgha gibt es hier auch noch eine weitere Kirche – Peter´s Primacy. Viel weniger auffällig ist dieser Ort als die beiden Touristenmagneten dieser Gegend, die Brotvermehrungskirche und Kapernaum. Tatsächlich gibt es nur einen verhältnismäßig kleinen Parkplatz vor dem Gelände, der eigentlich nur für Busse gedacht ist. Ich parke trotzdem dort und betrete kurz danach das Gelände… und bin erstaunt: Dies scheint der einzige Ort weit und breit zu sein, an dem man keinen Eintritt zahlen muss und an dem man keine Souvenirs kaufen kann. Es ist sehr ruhig, als ich morgens die Gartenanlage betrete, die den Besucher vom Tor hinunter zur Kirche am See Genezareth führt.

Schon sieht man die Primatskapelle, die wunderschön und dich sehr schlicht in schwarzem Basalt gehalten ist.

Schon sehe ich einige Freiluftkapellen, in einer wird gerade ein Gottesdienst gehalten. Vor mir liegt die kleine Kirche, die ich so viel schöner finde als die meisten anderen an den Touristenorten. Sie ist der schlicht, in schwarzem Basalt gebaut, mit nur einigen weißen Elementen. Doch bevor ich in die Kirche gehe, lockt mich zuerst der See. Einige Stufen geht man hinunter und dann ist man schon an der kleinen Bucht. Ich schaue hinaus auf den See, der wunderschön in der Morgensonne glitzert, kleine Wellen laufen auf das Ufer. Hier soll es also passiert sein: Hier soll Jesus nach seiner Auferstehung seinen Jüngern nochmals begegnet sein und Petrus als Hirten berufen haben. Der Evangelist Johannes, der selbst an jenem Morgen dabei war, erzählt uns, dass dies das dritte Mal war, dass Jesus sich als Auferstandener seinen Jüngern gezeigt hat: Das erste Mal war am Tag seiner Auferstehung selbst , nachdem er sich den Frauen und Kleopas und seinem Begleiter auf dem Weg nach Emmaus gezeigt hatte (Joh 20,19ff.). Das zweite Mal war, als Thomas mit dabei war (Joh 20,24ff.). Und das dritte Mal nun also am See Genezareth. Dort, wo er viele von ihnen in die Nachfolge gerufen und den Kreis der Apostel gebildet hatte. Dort, wo er die meiste Zeit gewirkt und die größten Wunder vollbracht hat – aber dazu zu einem anderen Zeitpunkt etwas mehr.

Mein erster Gang führt mich zur kleinen Bucht unterhalb der Kirche. Hier ist der Felsblock, auf dem Jesus gestanden haben und seinen Freunden zugerufen haben soll.

Jesus hatte seinen Jüngern mitteilen lassen, dass er in Galiläa am See auf sie warten würde (Mk 16,7; Mt 28,7). Voller Erwartung also müssen sie Jerusalem verlassen haben. Jerusalem – Jerusalem war immer das Zentrum des jüdischen Glaubens gewesen. Gott hatte den Berg Zion vor so langer Zeit erwählt, mit diesem Ort hatten Abraham und David, die beiden bedeutenden Glaubensväter, eine Geschichte. Möglichst mehrmals im Jahr zogen Juden aus dem ganzen Land in die goldene Stadt, um hier die Feste Gottes zu feiern, wie Er geboten hatte. Und hier nun – das begannen die Jünger langsam zu verstehen -, genau hier hat Gott nun sein Versprechen gehalten und durch Seinen Sohn Sühne für die Sünde der Menschheit geschaffen. Mit was für Gefühlen haben die Jünger und Jüngerinnen Jerusalem verlassen nach allem, was sie dort mit Jesus erlebt hatten? Ist es ihnen leicht gefallen, weil die letzten Tage eben auch alles andere als leicht waren – mit dem Verrat von Judas, der Gefangennahme, Passion und Hinrichtung Jesu und der Angst der Jünger vor einem ähnlichen Schicksal? Oder war es ein Stückweit auch Schwermut, der sie begleitet hat, da sie Jesu Auferstehung erlebt hatten und vielleicht eigentlich hofften, dass Jesus jetzt als auferstandener Messias den Thorn besteigt?

Vom Ufer aus hat man einen wunderbaren Ausblick…

… und kann sich lebhaft vorstellen, dass dies der Ort war…

… an dem dieses weitere Wunder mit Fischen im Bereich Tabghas passiert ist.

Als sie aber nach zwei Begegnungen mit Jesus gehorsam sind, nach Galiläa gehen und wieder zuhause in Kapernaum ankommen (hier war Jahre lang ihre gemeinsame Basis mit Jesus), da warten sie. Denn sie wissen nicht, was Jesus vorhat und wann sie ihn wiedersehen werden und warum sie überhaupt hier sind. Also machen sie, was sie immer gemacht haben: Simon Petrus sagte: »Ich gehe fischen.« (Joh 21,3) Überraschend ist es eigentlich nicht, dass es wieder mal Simon Petrus ist, der nicht stillsitzen kann und die Initiative ergreift. Sein Charakter bleibt einfach, wie Gott ihn geschaffen hat, auch nach drei Jahren unterwegs mit Jesus, nach Passion und Auferstehung seines Rabbi, nach so vielen Fehlern und so vielen Höhen und Tiefen, die er mit Jesus durchlaufen hat. Wenn wir uns erinnern: Das letzte Ereignis, das Petrus mit Jesus geteilt hat vor dessen Auferstehung, war nicht besonders glücklich: Petrus war Jesus nach dessen Gefangennahme bis zur Festung gefolgt und hat dort drei Mal geleugnet, dass er Jesus überhaupt kennen würde (Lk 22,54ff.). Der hatte ihm genau das prophezeit – aber wie Petrus nun mal ist (stark, impulsiv, treu, loyal), hat er versichert, dass das niemals passieren würde. (bspw. Lk 22,21ff.). Aber dann war es soweit. Petrus fiel. Und in genau dem Moment des dritten Verleugnung schaute Jesus ihn an und Petrus brach zusammen. Bei der Kreuzigung war er nicht dabei. Bei der Grablegung auch nicht. Und auch nicht mit den Frauen früh am ersten Tag der Woche am Grab.

Und doch: Trotz Treubruch, Verrat und Verletzung ließ Jesus Petrus nicht fallen. Wir lesen, dass es schon ein Treffen zwischen Jesus und seinem ersten Apostel gegeben hat (Lk 24,34). Was passiert ist und was die beiden besprochen haben, blieb zwischen ihnen. Auch wenn ich eigentlich gerne Mäuschen spielen würde, finde ich genau den Gedanken so schön – manche Gespräche mit Jesus dürfen persönlich bleiben.

Das Symbol ist bewusst an das von der Brotvermehrungskirche angelehnt und hat doch seine eigene Nuance.

Zurück zum See: Die anderen Männer schließen sich Petrus begeistert an. Und so fahren Petrus, Nathanael, Jakobus und Johannes, Thomas und zwei weitere Männer (ich persönlich glaube, es waren Philippus, der beste Freund von Nathanael und Andreas, der Bruder von Petrus, weil die beiden immer dabei waren :-)) hinaus auf den See, um ihrem Job nachzugehen. Allerdings steht dann der ernüchternde Kommentar: …doch sie fingen die ganze Nacht über nichts… (Joh 21,3). Kommt Dir das irgendwie bekannt vor? Mir auch. Diese Notiz, dass der Fischzug des Nachts erfolglos war, taucht hier nicht das erste Mal auf. Dabei wussten die Jünger, was sie taten: Als professionelle Fischer wussten sie, dass man nachts manchmal am erfolgreichsten ist – das Licht und das rege Trieben in Ufernähe lassen nach und sobald die Insekten in den Dämmerstunden am Wasser mehr werden, steigen die Chancen häufig. Es ist also eher erstaunlich zu lesen, dass nicht ein einziger Fisch ins Netz ging. Und doch zeigt uns genau das: Jesus kommt manchmal genau dann, wenn aus menschlicher Sicht nichts läuft – und macht alles neu!

Als wird das erste Mal davon lesen, dass Petrus, sein Bruder und die Zebeäden, die zusammen ein Fischereiunternehmen führten, nachts erfolglos waren, steigt Jesus in das Boot von Petrus und predigt vom Wasser aus zur Menschenmenge am Ufer (die Buchten wirken tatsächlich wie ein natürlicher Verstärker). Danach fordert er Petrus auf, trotz der Erfolglosigkeit der Nacht nochmals die Netze auswerfen – und die Boote gehen fast unter vor der Menge der Fische. Petrus reagiert mit einer sehr verständlichen Ehrfurcht: Als aber Simon Petrus es sah, fiel er zu den Knien Jesu nieder und sprach: Geh von mir hinaus! Denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr. Denn Entsetzen hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über den Fischfang, den sie getan hatten; ebenso aber auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, die Gefährten von Simon waren. (Lk 5,8-10) Aber im Angesicht dieser Erkenntnis von Petrus und seinen Freunden sagt Jesus nicht: Ja, das stimmt. Mit euch kann ich eh nichts anfangen. Sondern er spricht die alles verändernde Berufung über ihrem Leben aus: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.

Drei Jahre später fangen die Männer wieder nichts in der Nacht. Als sie erschöpft und müde die Netze einholen, als die Sonne aufgeht, ruft ihnen ein Mann vom Ufer aus zu, ob sie etwas gefangen hätten. Sie verneinen frustriert. Doch der Mann am Ufer lässt nicht locker: „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus! Und ihr werdet finden.“ Da warfen sie es aus und konnten es vor der Menge der Fische nicht mehr ziehen. (Joh 21,6) Derselbe Ort, derselbe Job, dieselben Männer, derselbe Messias. Das erkennen sie auch in diesem Moment, als Jesus, wunderbar persönlich wie er ist, den Moment, mit dem alles begann, nachstellt. Johannes ist es, der ihn zuerst erkennt. Als Petrus das versteht, will er nicht warten, bis er mit dem Boot am, Ufer angekommen ist, sondern springt einfach ins Wasser und schwimmt zu Jesus – eine so tiefe Freude über das Wiedersehen, eine solche Sehnsucht spricht daraus, vermutlich aufgrund des persönlichen Gesprächs, das die beiden hatten. Nach einer wahrscheinlich sehr herzlichen Begrüßung isst Jesus zusammen mit seinen Jüngern – auf dem Felsen, der das Zentrum der kleinen Primatskapelle ist, so heißt es.

In der Kapelle liegt der Felsen, auf dem Jesus mit seinen Jüngern gegessen haben soll.

Ich finde es interessant, dass Jesus gerade diesen Ort aussucht für diese erneute Begegnung, bevor er zum Vater in den Himmel geht. Denn stimmt diese Tradition, dann befindet sich der Ort direkt zwischen Kapernaum, wo die Berufung  von Andreas und Simon Petrus und den Zebeäden mit dem Fischwunder stattfand, und dem Ort in Tabgha, wo Jesus fünf Brote und zwei Fische vermehrte und so mindestens 10.000 Menschen, wie geschätzt wird, satt machte. Eine tiefe Bedeutung mag darin stecken – aber vielleicht möchte Jesus auch einfach die Erinnerung an die gemeinsame Zeit wachrufen, an das, was die Jünger alles mit ihm erlebt haben. Und an ihre Berufung: Das Königreich Gottes, das er gebracht hat, weiter zu verkünden und andere Menschen hineinzurufen. Denn diese Berufung steht, trotz der Menschlichkeit der Jünger… und unserer.

Auch die gegenüberliegende Seite ist schlicht und wunderschön gestaltet.

Nach dem gemeinsamen Frühstück geht Jesus noch mit seinen Freunden spazieren am Ufer des Sees, wie sie es in den drei gemeinsamen Jahren so oft getan haben (ist unser Retter nicht wunderbar persönlich?). Und hier kommt es zu dem ganz besonderen Moment für Petrus, denn Jesus bietet ihm in seiner Liebe einen besonderen Moment der Vergebung an: So wie Petrus Jesus drei Mal verleugnete, fragt Jesus ihn nun drei Mal, ob er ihn liebt.

Und drei Mal fordert Jesus ihn nach seiner Antwort auf, seine (also Jesu) Schafe zu weiden. Petrus muss nicht perfekt sein. Er muss nicht eine Form von übermenschlicher Veränderung durchmachen, um gut genug zu sein. Wie wir schon bei David in Psalm 51 lesen: Die Opfer Gottes sind ein zerbrochener Geist; ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten. (V.19) Petrus ist einen gewissen Prozess mit Jesus durchlaufen: Vom ersten und impulsivsten Apostel, der Jesus mit dem Schwert von der Gefangennahme abhalten wollte und vollmundig verkündete, dass er ihm immer treu bleiben würde, zu dem, der am tiefsten fiel. Aber Gott sieht unser Herz. Er sieht hinter unsere Fassade und unsere Fehler. Er sieht das, was Er in uns hineingelegt und was Er über unserem Leben ausgesprochen hat. Nicht die vollkommene Gabe, aber eine aus Liebe zu und in Abhängigkeit von Ihm.

Für Petrus ist dies also ein ganz besonderer Moment. Denn trotz seiner Fehler erhebt Jesus ihn in diesem Moment zum stellvertretenden Hirten über die junge Gemeinde der Nachfolger des Messias. Diese Szene und ihre Bedeutung auch für uns wird wunderbar in einer Statue neben der Primatskapelle dargestellt.

„Weide meine Lämmer!“ – die Aufforderung Jesu an Petrus begründet den Namen der Primatskapelle.

Wie immer meistens kann man nicht bis ins Letzten nachweisen, dass das Picknick von Jesus mit seinen Jüngern hier stattgefunden hat. In archäologischen Untersuchungen wurden tatsächlich Überreste eines Hafens aus dem 3. Jahrhundert gefunden und auf dem Gelände der Kirche standen schon fünf davor, die älteste reicht bis in die frühe byzantinische Zeit zurück. Allgemein wird eine recht genau Zuverlässigkeit solcher Bauten angenommen: In der Regel bauten Christen in der byzantinischen Epoche an den Orten, wo sich seit Jahrhunderten Christen trafen, um einem bestimmten Ereignis aus dem Leben oder Wirken Jesu zu gedenken. So scheint es auch hier gewesen sein, worauf die beiden unbearbeiteten Felsen hinweisen. Als ich in der schlichten Kapelle sitze, kann ich es mir auf jeden Fall gut vorstellen, dass dies tatsächlich der Ort war.

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