Geschichtliche Volldröhnung – Besuch im Israelmuseum in Jerusalem

Die Stadt ist schon mehr als hellwach, als ich gestern morgen durch den Sacher Park nicht weit von meinem Appartement laufe. Eigentlich habe ich mich zu früh auf den Weg gemacht, denn mein Ziel öffnet seine Tore erst in über einer Stunde: Heute Vormittag möchte ich das berühmte Israelmuseum besuchen. Das letzte Mal war ich 2014 da und seitdem hat sich bestimmt einiges verändert. Die Website hat mich jedenfalls extrem neugierig gemacht mit ihren Hinweisen auf die festen archäologischen Ausstellungen und der Werbung für eine besondere, die aber nur für einen kurzen Zeitraum hier ist: Mithilfe einer die Unruhen in arabischen Ländern Ende der 1940er überlebenden Jüdin und ihren Fotografien konnte die berühmte Synagoge von Aleppo virtuell rekonstruiert werden, was nun in einer besonderen Ausstellung gezeigt wird.

„In Jerusalem wird die verrückt gebaut!“, sagte mir vor einigen Tagen eine Freundin, die hier wohnt. So viele Menschen wollen in diese besondere Stadt ziehen, dass es einfach mehr Wohnraum braucht.

Als ich auf dem Weg bin, merke ich wieder, dass es in Israel die Frage nach „zu früh“ nicht geben kann, denn es gibt immer etwas Neues zu entdecken und Schönheit und Abwechslung zu genießen. Ich laufe vorbei an Joggern und streng orthodoxen Spaziergängern, links neben mir der Straßenverkehr laut hupend, rechts neben mir die Ruhe des Parks. Mit einem Mal geben die Bäume den Blick frei auf den obersten Gerichtshof in Jerusalem. Bald biege ich von der Sderot Ben Zvi Straße auf den Derech Ruppin ab und neben mir liegt das streng bewachte Gelände der Knesset.

Im Sacher Park gibt es große Blumenfelder, Wiesen und Wald, die allesamt gepflegt werden.

Vom Berg des Museums aus hat man einen wunderbaren Ausblick auf einen Teil der Stadt.

Das Bible Lands Museum beschäftigt sich mit der Umwelt des antiken Israel – leider schaffe ich es dieses Mal nicht, das Museum zu besuchen, obwohl es bestimmt lohnenswert wäre.

Und dann bin ich auch schon da: Vor mir liegen das Israelmuseum und das Bible Lands Museum (dieses zweite Museum behandelt die antiken Länder in der Umwelt Israels, steht heute allerdings nicht auf meinem Plan). Tatsächlich bin ich zu früh da, aber das nette Personal lässt mich, obwohl Touri, in die Cafeteria und so genieße ich einen Cappuccino, bevor ich Richtung Ticket-Schalter gehe und in die Ausstellung eintauche.

Gleich wird man von den ersten archäologischen Funden begrüßt: Überresten der Synagoge von Chorazin am See Genezareth – dazu aber an einem anderen Tag mehr!

Mein Weg durch den weitläufigen Komplex führt mich zuerst zum Modell der Heiligen Stadt. Es zeigt Jerusalem, wie es ausgesehen hat, bevor der große Jüdische Krieg begann und Jerusalem in der Folge 70 n.Chr. von den Römern zerstört wurde. Das Modell ist so groß und detailliert gebaut, dass man jedes Viertel, jeden Bau ganz genau erkennen kann. Finanziert wurde das gigantische Modell, das in der Welt kein vergleichbares Gegenstück kennt, von dem jüdischen Bankier Hans Kroch (1887-1970). Der ursprüngliche Deutsche wurde zuerst in das KZ Buchenwald transportiert, dann in das Lager Sachsenhausen, aus dem er entlassen wurde, als er einer Abgabe seiner Bank und einem Verzicht auf das Geschäftsvermögen zustimmte. Mit den Kindern konnte er erst nach holland, dann Argentiniern und schließlich Israel emigrieren. Seine Frau überlebte als einzige den Holocaust nicht – sie wurde im KZ Ravensbrück ermordet. Sein Sohn Jacob fiel im israelischen Unabhängigkeitskrieg. In seinem Gedenken stiftete Kroch das Modell der Heiligen Stadt zur späten Zeit des Zweiten Tempels. Zuerst stand es ab den späten 1960er Jahren im Holyland Hotel, wurde aber 2006 an das Israelmuseum übergeben. Zur Herstellung und einer regelmäßigen Ausbesserung trugen nicht nur Künstler, sondern auch Historiker und Archäologen bei. Als Grundlage wurden die Informationen, die wir Flavius Josephus verdanken, genommen, aber auch neuste archäologische Erkenntnisse, sodass das Modell sehr genau sein dürfte.

Das Modell des antiken Jerusalem umfasst wirklich alles, was in den damaligen äußeren Stadtmauern des Herodes lag.

So sah das Goldene Tor damals aus. Es wurde nur von der Priesterschaft verwendet, wie man mittlerweile weiß – Jesus zog an Palmsonntag also vermutlich nicht hier ein. Fotografiert ist es von dem Ort aus, wo der Ölberg wäre, dazwischen liegt das Kidron-Tal.

Der Tempelberg ist fantastisch detailgetreu und eine Augenweide für jeden Theologen und Bibelliebhaber. Während alles drumherum in Jerusalemer Sandstein gehalten ist, ist der Tempel aus reinem Marmor und mit echtem Gold verziert.

Im Anschluss gehe ich zum sogenannten „Shrine of the Book“. Von außen wirkt das Gebäude erstmal befremdlich, doch weißt man, was darin ist, erhält es eine tiefe Bedeutung. Denn hier werden einige der bedeutendsten Funde der jüngeren Theologiegeschichte aufbewahrt: Die Funde aus Qumran. Es gibt wohl niemanden, der nicht von den Schriftrollen des Toten Meeres oder Qumran gehört hat. Eher zufällig wurden sie gefunden – doch dazu möchte ich an einem anderen Tag mehr erzählen, denn bald werde ich Qumran selbst besuchen :-) Hier sei nur so viel gesagt: Die weiße Kuppel des Shrine of the Book, die man von außen als einziges sieht, erinnert an den typischen Deckel von solchen Krügen, in denen die Schriftrollen gefunden wurden. Direkt darunter befindet sich unterirdisch die Ausstellung mit einigen Originalgegenständen der Essener, die in Qumran lebten und zahlreiche dieser Schriftrollen anfertigten, eine Kopie der bedeutenden Jesajarolle aus Qumran und eine kleine Ausstellung zum Aleppo Codex. leider, aber verständlicherweise darf man im Innern des abgedunkelten Museums keine Fotos machen, da Blitzlicht die Fragmente, die in teilweise sehr schlechtem Zustand gefunden wurden, weiter schädigen könnte.

Die Kuppel des Shrine of the Book stellt den Deckel eines Kruges dar. Normalerweise wird sie noch mit Wasser beregnet, um die Bedeutung der Reinheit für die Essener auszudrücken.

Fragst Du Dich vielleicht gerade, was der Aleppo Codex ist? Dann solltest Du unbedingt in die Ausstellung gehen, aber ich gebe Dir hier gerne einen kleinen Einblick. Dieser Codex ist die älteste uns erhaltene Ausgabe des Alten Testaments. Angefertigt wurde er von sog. Soferim (Schreibern), die den jüdischen Text nicht nur abschrieben, sondern auch vokalisierten, mit Akzenten und Anmerkungen zur Überlieferung versahen (dabei folgten sie der Tradition der sog. Masoreten, die genau dieses System ab 600 n.Chr. einführten – davor war der Text ohne Vokale). In Tiberias am See Genezareth um 1000 n.Chr. angefertigt, wurde der Codex schließlich an die jüdische Gemeinde in Aleppo gegeben und 600 Jahre lang aufbewahrten. Als 1947 Unruhe in den arabischen Ländern gegen Juden ausbrachen, wurde auch die Synagoge von Aleppo niedergebrannt und der Codex galt zuerst als verloren. Bald konnten 295 von ursprünglich 487 Seiten wiedergefunden werden – der Rest fiel wohl der Attacke zum Opfer. Heute ist der uns erhaltene Teil des Coex jedoch eine wichtige Grundlage für unsere hebräische Bibel.

Nach diesen beiden beeindruckenden Besichtigungen gehe ich weiter in den großen Ausstellungskomplex. Hier gibt es neben einigen wechselnden Kunstausstellungen auch feste Ausstellungen zu Thema Archäologie. Angefangen bei urzeitlichen Funden, die in Israel gefunden wurden, geht es bald weiter zur kanaanäischen Zeit und damit nähern wir uns dem Bereich, der mich natürlich brennend interessiert. Schon stromere ich hindurch zwischen Funden, die die Bevölkerung, die Kultur und den Kult Kanaans beleuchten und einem bunt vor Augen malen, wie die Menschen damals gelebt haben. Schließlich geht die Ausstellung in die israelitische Zeit über. Bei der Darstellung der historischen Entwicklung fällt jedoch arg auf, dass die Wissenschaftler der Ausstellung eindeutig der liberal-postmodernen Schule angehören. Biblische Darstellungen werden gar nicht mit einbezogen, außer wenn sie vorher gedeutete archäologische Funde bestätigen und in einen Kontext setzen. Ich fühle mich sehr auf meine Zeit an der Universität erinnert und danke Gott im Herzen, dass ich lernen durfte, dass akademisches Arbeit nicht zu diesen Ergebnissen kommen muss. Wenn ich eins in acht Jahren Studium gelernt habe, dann wohl dies: Eine möglichst neutrale, saubere Arbeit mit Bibel und Archäologie ist selten zu finden – aber wertvoller als Gold. Trotzdem begeistert von den Funden, die aus Davids Palast oder einem Heiligtum in Lachisch und so vielen anderen biblischen Orten den Weg hierhergefunden haben, bahne ich mir einen Weg bis zur Zeit der Römer. Und plötzlich tauchen die Bekannten Namen auf: Herodes, Pilatus, Kaiphas und schließlich Vespasian, der mit seinen Söhnen den Krieg ab 66 n.Chr. gegen das jüdische Volk führte und damit mit verantwortlich für die Zerstörung Jerusalems war, und Hadrian, der Kaiser, der den letzten Aufstand unter Bar Kochbar niederschlug und das Zweite Exil der Juden besiegelte. In einem unteren Stockwerk finde ich fast gänzlich erhaltene Einrichtungen von byzantinischen Kirchen und antiken Synagogen.

Die Tel Dan Inschrift ist einer der berühmtesten und wichtigsten Funde in der Forschung. Du willst wissen, warum? Dann lies meinen Artikel dazu hier nach: https://www.israelogie.de/archaeologie-und-bibel/9089-2/

Tatsächlich wurde die Truhe gefunden, in der die Gebeine des Hohenpriesters Kaiphas aufbewahrt wurden, den wir alle aus dem NT kennen. In der Bibelkritik schlug der Fund durchaus große Wellen.

Nachdem Jerusalem 70 n.Chr. zerstört war, ließ Vespasian für sich und seinen Sohn Titus eine Siegessäule aufrichten.

Es war Kaiser Hadrian, der in der frühen Mitte des 2. Jhdt. n.Chr. den letzten jüdische Aufstand im Land brutal niederschlug und danach das gesamte Land latinisierte. U.a. ließ er in einer abgelegenen kleinen Stadt diesen Siegeszug anbringen.

Das Museum hat sogar das Interieur einer antiken Synagoge ausgestellt…

… sowie das einer byzantisnischen Kirche.

Als ich mir langsam den Weg zurück bahne, merke ich aber, dass die Ausstellungen noch lang nicht vorbei sind. Tatsächlich gibt es gerade auch eine Ausstellung zu jüdischem Leben in aller Welt. Zuerst werden traditionelle Gewänder gezeigt, bevor man in einer großen Halle Synagogengegenstände aus zahlreichen Ländern findet. Was mich aber am allermeisten fasziniert und berührt, sind die Synagogen. Ja, tatsächlich, hier sind mehrerer vollständige Synagogen (natürlich ohne Gebäude ;-)) hertranssportiert worden – aus Tschechien, aus Deutschland, aus Holland, aus Indien. An jeder Tür steht die Geschichte der Synagoge sowie die Person, die es finanziell möglich gemacht hat, die Synagoge vollständig nach Israel zu bringen. Alle sind Juden – ein Beweis dafür, wie sehr Juden weltweit der jüdische Staat und die Erinnerung an die jüdische Identität, die die Geschichte überdauert hat, am Herzen liegt. Bei den Synagogen sowie den zahlreichen ausgestellten Gegenständen aus aller Welt und verschiedenen Zeitepochen erkennt man vor allem eine erstaunlicher Einheit: trotz mancher Details, die sich unterschieden, weil sie von der jeweiligen Umgebung und Zeit geprägt sind, handelt es sich eindeutig um die gleichen Gegenstände mit derselben Verwendung. Jede Synagoge trägt die dem Judentum wichtigen Charakteristika in sich: der Torahschrein (früher ausgerichtet nach Jerusalem), die architektonische Aufteilung, Symbole wie Granatäpfel, Menorah, Davidstern oder die Zehn Gebote und sie vieles mehr. Eine Einheit wie diese, die sich durch die ganze Geschichte des Judentums seit dem Zweiten Exil bis heute zieht und sich weltweit ausdrückt, ist mir in keinem anderen Bereich bisher so deutlich geworden. Den Abschluss dieser Ausstellung bildet eine kleine Video-Zusammenstellung von Feierlichkeiten des Unabhängigkeitstages des jüdischen Staates über die Jahrzehnte. Auch hier kommen in den Paraden die ganzen Kulturen zum Ausdruck, die sich in der Bevölkerung Israels vereinigen.

Mehrere Synagogen sind hier im Museum ausgestellt – diese stammt etwa aus Prag und wurde sicher nach Israel transportiert.

Hier sieht man Judaica aus aller Welt aus verschiedenen Epochen.

„Im äschkachech Jeruschalaim – tischkach jeminy“ -„Wenn ich Dich vergesse, Jerusalem, dann soll meine Rechte vergessen werden“ (Ps 137,5) In aller Welt galt über zwei Jahrtausende dieser Vers als einer der wichtigsten.

Und dann stehe ich vor der Synagoge Aleppo – nein, nicht leibhaftig, aber in der kleinen Ausstellung vor mir wird sie tatsächlich rekonstruiert. Möglich wurde dies durch Sarah Shammah, eine Jüdin, die damals in Aleppo lebte und einen Fotografen engagierte, die große Synagoge in all ihren Details zu fotografieren. Trotz der ausbrechenden Gewalt gegen Juden im Jahr 1947 blieb sie einige Tage länger, bis der Fotograf die Negative von ihr zurückverlangte und sie der Spionage anklagte. Mithilfe eines muslimischen Freundes gelang ihr die Flucht. Die Ruine der niedergebrannten Synagoge blieb bestehen und wurde sogar Jahrzehnte später durch die Finanzierung einiger Juden renoviert. Doch auch, wenn sie durch die syrische Regierung geschützt wird, ist dort kein jüdisches Leben mehr möglich, und so steht sie als Andenken an das Jahrhunderte währende, blühende jüdische Leben in Syrien. Ihren Anfang nahm die Synagoge vermutlich im späten sechsten Jahrhundert n.Chr., die älteste uns erhaltene Inschrift ist aus dem Jahr 834 n.Chr. Doch manche Sagen ranken sich und as Gebäude, etwa, dass Joab, der engste Mitarbeiter und Vertraute von König David, die Synagoge schon ins Leben gerufen habe. Neben der kleinen Ausstellung kann der Besucher sich setzen und eine 3D-Brille aufsetzen und sich so hineinbegeben in den imposanten Bau.

Blick in den Sacher Park.

Angefüllt mit so vielen Eindrücken und Informationen und (wie überall hier) netten Begegnungen trete ich langsam meinen Rückweg an, schlendere wieder durch den Park zurück zu meinem Appartement. Niemand sagt, dass hier alles perfekt laufen würde in diesem noch sehr jungen Staat. Aber die Geschichte des jüdischen Volkes berührt mich jedes Mal wieder sehr tief ebenso wie die Liebe und Hingabe der großen Mehrheit der jüdischer Menschen weltweit.

Zurück