Auf Tuchfühlung mit dem Berg und der Predigt

Nachdem ich einen super spannenden Vormittag in Ein Keshatot verbracht habe, möchte ich nun doch am Nachmittag den Shabbat noch etwas in Ruhe und Zweisamkeit mit Gott ausklingen lassen und fahre dafür an einen meiner liebsten Orte: den Berg der Seligpreisung. Schon bei meinem ersten Besuch vor zehn Jahren habe ich mich in diesen Ort verliebt – mit seinen liebevoll angelegt Gärten, den wunderschönen Gebäuden, der schlichten und doch beeindruckenden Kirche und dem berührenden Blick den Hang hinab auf den Kinneret. Auch dieses Mal ist es ganz wunderbar, aber gleichzeitig empfinde ich tiefe Traurigkeit. Denn wo vor drei Jahren, als ich das letzte Mal hier war, noch bunte Blumen und wunderbares Grün wuchsen, sind jetzt zu einem großen Teil braune Stummel und verbannte Erde. Teile der Kibbuzfelder unterhalb sind abgebrannt und sogar die Decke der Gebetsecke unten Richtung See ist zerstört. Erst dachte ich, es wäre vielleicht ein „normaler“ Sommerbrand gewesen, wie es sie in südlichen Ländern nunmal geben kann. Allerdings habe ich gehört, dass es sich um Brandstiftung handelt. Dies wäre nicht das erste Mal, dass christliche Stätten zum Ziel von Angriffen werden. Die Brotvermehrungskirche in Tabgha beispielsweise fiel 2015 einer Brandstiftung zum Opfer und musste aufwendig renoviert werden, vor kurzem erst gab es Schmierereien an der Wand. Gott sei Dank, ist das Feuer in diesem Fall nicht zu weit auf das Grundstück gekommen: Der Kirche und dem Pilgerhaus ist nichts passiert. Und das ist gut so, denn dieser Ort ist für Christen ebenfalls sehr bedeutsam.

Schon auf dem Parkplatz wird man von wunderschönen Pflanzungen empfangen.

Hier könnte es gewesen sein. Hier könnte Jesus Christus seine berühmte Lehre gehalten haben, die als „Bergpredigt“ in die Geschichte eingegangen ist (Mt 5-7). Dabei ist die Bergpredigt ja nicht einfach nur eine einheitliche Rede zu einem bestimmen Thema, sondern enthält zahlreiche Lehren: Jesus spricht von grundlegenden Werten, von dem Auftrag seiner Jünger, von zwischenmenschlichem Verhalten und der wahren Bedeutung des Gesetzes und von unserer Beziehung zu Gott.

Direkt unterhalb des Berges liegt Tabgha, links unten sieht man Kapernaum.

Gegenüber sieht man Kursi.

Und man kann bis zum Ende des Sees schauen und das Gebiet des Jordantals sehen.

Tatsächlich muss man in diesem Fall von „könnte“ sprechen. Denn anders als bei vielen anderen christlichen Stätten liegt uns hier keine alte Überlieferung vor – es kann keine antike Versammlungsstätte der ersten Christen nachgewiesen werden, keine byzantinische Kirche. Der Ort wurde, so heißt es, nicht aufgrund einer Tradition, sondern wegen seiner Lage ausgewählt.

Der Weg führt den Besucher vorbei an liebevoll angelegten Gärten und Mosaiken, zwischen denen immer wieder die Seligpreisungen geschrieben stehen.

Das Pilgerhaus auf dem Berg ist so beliebt, dass man gefühlt Jahre im Voraus anfragen muss.

Das Grundstück gehört dem Franziskanerorden. 1937/38 baute Antonio Berluzzi, ein Architekt des Vatikans das besondere Kirchengebäude. Wenn Du Dich für eine genauere Beschreibung der Kirche und der Bedeutung ihrer Gestaltung interessierst, findest Du HIER eine kurze, aber sehr detaillierte. Heute lebt hier eine Gemeinschaft von Schwester und Pilger aus aller Welt sind willkommen.

Die ebenfalls achteckige Kirche ist mit viel Symbolik gestaltet.

Und doch: Auch, wenn wir es nicht wissen können, wo es war, passt dieser Ort irgendwie. Wenn ich auf dem Grundstück um die Kirche herum laufe, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die Predigt hier stattgefunden hat. Denn an allen Seiten fällt der Berg in Stufen ab, allerdings nicht zu steil, sondern so, dass eine Art Tribüne entsteht. Perfekt also für einen natürlichen Schallverstärker, das wird immer wieder von Fachleuten bestätigt. Und genau das erlebe ich heute sogar ganz konkret, denn unten auf dem See fahren einige Boote mit Musik, die man hier oben so laut hört, als würden sie neben mir fahren. Es ist also sehr gut vorstellbar: Jesus steht auf einer der „Stufen“ und die Menge ist unter ihm oder aber er steht unten am See und die Menge hat sich auf dem Berg versammelt – beides wäre wohl sehr gut möglich. Auf den sanft abfallenden Flächen des Berges hätten jedenfalls tausende von Menschen gut nebeneinander sitzen und stehen können.

Innen findet man eine goldene Kuppel und kunstvolle Glasfenster, die die verschiedenen Seligpreisungen auf Latein zeigen.

Und auch von außen leuchtet die Kuppel in der Abendsonne.

Auch scheint der Ort von der Location her passend zu sein: Denn Matthäus, der uns von der Bergpredigt erzählt, ist selbst ein spätes Mitglied der „Kapernaum-Boygroup“. Er selbst ist ein Jude aus der Gegend und selbst, wenn er erst später von Jesus berufen wird (Mt 9,9ff.), ist es sehr gut vorstellbar, dass er selber dabei war. Er kennt die Gegend also sehr gut und beschreibt uns, dass Jesus nicht auf irgendeinen Berg steigt, sondern auf „den“ Berg. Es ist also möglich, dass es sich um einen besonderen Berg dieser Gegend handelte, der unter den Bewohnern der Gegend sehr bekannt war (und danach vermutlich in der messianisch/christlichen Tradition). Natürlich können wir heute nicht mehr sagen, welcher dieser Berg war, aber er war vermutlich etwas herausgehoben.

Dazu kommt noch ein weiterer Gedanke: Laut Matthäus findet direkt im Anschluss an die Heilung eines Aussätzigen statt. Jesus steigt vom Berg herunter, die Menschenmasse folgt ihm … und dann steht da plötzlich dieser kranke Mann. Wegen der hohen Ansteckungsgefahr von Aussatz durften Betroffene nicht in Städten wohnen, sondern mussten außerhalb für sich sein. Jesus geht vom Berg herab und muss anscheinende ein gutes Stück zu Fuß zurück nach Kapernaum laufen (ca. 3 km; laut Mt 8,5ff. geht er dorthin) – auf dem Weg Ufer entlang kann die Begegnung sehr gut stattgefunden haben. Aber wie gesagt: Wissen tun wir es nicht genau – nur, dass es hier in dieser Gegend gewesen sein muss.

Interessant ist, dass direkt unterhalb vom Berg der Seligpreisung Tabgha liegt mit der Brotvermehrungskirche und Peter´s Primacy. Ist Jesus also vielleicht, als er vom Tod seines Cousins Johannes des Täufers hörte, zurück auf den Berg gegangen, um allein mit Gott zu sein (Mt 14,1ff.)?

Man kann außen um die Kirche herumlaufen und hat den schönsten Ausblick auf den See.

 

Trotz der Ungewissheit, wo genau all das stattgefunden hat, ist dies ein besonderer Ort, um zur Ruhe zu kommen und Zeit mit Glaubensgeschwistern und Gott zu verbringen. Denn die Bergpredigt ist und bleibt einer der wichtigsten Texte für uns als Christen. Manche sagen sogar, dass es sich hier um das Gegenstück oder eine Art Fortsetzung der Bundesrede des Mose auf dem Berg in der Wüste handeln würde. Als Messias steht Jesus in Galiläa auf einem Berg und legt die Torah aus, wie es niemand vor ihm konnte – und beweist seine Natur und seinen Auftrag direkt im Anschluss durch ein massives Wunder.

Doch warum wählt Jesus gerade diesen Ort dafür aus? Dazu in meinem nächsten Beitrag etwas mehr!

Wenn gerade nicht zu viele Touristen hier sind, lässt es sich wunderbar arbeiten.

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